An Tantalos scheiden sich die Geister. Sicher scheint nur, dass die Götter an ihm ein Exempel statuiert haben. Im Tartaros, dem Hades unter dem Hades, leidet er an ewig unstillbarem Hunger und Durst, obwohl Wasser und Brot in Reichweite zu sein scheinen – aber nur, solange Tantalos von der scheinbaren Möglichkeit des Essens und Trinkens keinen Gebrauch zu machen sucht. Will er trinken, verschwindet das feuchte Nass, will er essen, entziehen die Früchte sich seinem Zugriff. Dazu leidet er unter der ständigen Angst, von einem über ihm hängenden Stein erschlagen zu werden, weil er nicht weiß, dass die Götter ihn unsterblich gemacht haben. Denn wie alle Lust, so will auch alle Qual, sofern sie von einem Gott herrührt, Ewigkeit.
Worin bestand Tantalos‘ Vergehen? Die einen sagen, er habe mit seinem Reichtum als König von Lydien (an der Westküste Kleinasiens, gegenüber von Lesbos, Chios und Samos) zu sehr angegeben und zu allem Überfluss noch behauptet, sein Vater sei Gott Zeus persönlich. Der sei nämlich, habe Tanatalos nämlich behauptet, seiner Mutter im Traum erschienen und habe sie bei dieser Gelegenheit geschwängert. Andere meinen achselzuckend, wer Herakles beim wettkampfmäßigen Fang den Stein austrickse, brauche sich nicht zu wundern, wenn dessen Vater Zeus ihm bis in alle Ewigkeit zeige, wo der Hammer hängt.
Eine dritte Gruppe von gelehrten Kennern der Götter- und Menschen-Psyche vertritt die zunehmend unpopuläre Ansicht, es könne nicht gutgehen, wenn einer versuche, dem oder den Erhabenen auf Augenhöhe zu begegnen. Sich von den Göttern einladen und bewirten zu lassen, sei fragwürdig genug, sie dann im Gegenzug zu sich einzuladen, der reine Größenwahnsinn. Wenn Tantalos im späteren Verlauf der Gegeneinladung seinen Sohn Pelops für eine geeignete Götterspeise gehalten habe, dann erhärte das den Verdacht, dass er als einer der ersten Modernen ontologische Unterschiede für bloße Konstrukte hielt. Die berühmt-berüchtigten Tantalos-Qualen sind im Lichte dieser Deutung der Ereignisse die göttliche Strafe für die Leugnung des Unterschieds zwischen dem Realen und dem Hypostasierten oder bloß Konstruierten.