Wikipedia zu Virko Baley (in English).
Franz Schubert: Amphiaraos (D 166)
Vor Thebens siebenfach gähnenden Toren
Lag im furchtbaren Brüderstreit
Das Heer der Fürsten zum Schlagen bereit,
Im heiligen Eide zum Morde verschworen.
Und mit des Panzers blendendem Licht
Gerüstet, als gält‘ es, die Welt zu bekriegen,
Träumen sie jauchzend von Kämpfen und Siegen,
Nur Amphiaraos, der Herrliche, nicht.
Denn er liest in dem ewigen Kreise der Sterne,
Wen die kommenden Stunden feindlich bedrohn.
Des Sonnenlenkers gewaltiger Sohn
Sieht klar in der Zukunft nebelnde Ferne.
Er kennt des Schicksals verderblichen Bund,
Er weiß, wie die Würfel, die eisernen, fallen,
Er sieht die Moira mit blutigen Krallen;
Doch die Helden verschmähen den heiligen Mund.
Er sah des Mordes gewaltsame Taten,
Er wußte, was ihm die Parze spann.
So ging er zum Kampf, ein verlor’ner Mann,
Von dem eig’nen Weibe schmählich verraten.
Er war sich der himmlischen Flamme bewußt,
Die heiß die kräftige Seele durchglühte;
Der Stolze nannte sich Apolloide,
Es schlug ihm ein göttliches Herz in der Brust.
„Wie? – ich, zu dem die Götter geredet,
Den der Weisheit heilige Düfte umwehn,
Ich soll in gemeiner Schlacht vergehn,
Von Periklymenos‘ Hand getötet?
Verderben will ich durch eigene Macht,
Und staunend vernehm‘ es die kommende Stunde
Aus künftiger Sänger geheiligtem Munde,
Wie ich kühn mich gestürzt in die ewige Nacht.“
Und als der blutige Kampf begonnen,
Und die Eb’ne vom Mordgeschrei widerhallt,
So ruft er verzweifelnd: „Es naht mit Gewalt,
Was mir die untrügliche Parze gesponnen.
Doch wogt in der Brust mir ein göttliches Blut,
Drum will ich auch, wert des Erzeugers, verderben.“
Und wandte die Rosse auf Leben und Sterben,
Und jagt zu des Stromes hochbrausender Flut.
Wild schnauben die Hengste, laut rasselt der Wagen,
Das Stampfen der Hufe zermalmet die Bahn.
Und schneller und schneller noch rast es heran,
Als gält‘ es, die flüchtige Zeit zu erjagen.
Wie wenn er die Leuchte des Himmels geraubt,
Kommt er in Wirbeln der Windsbraut geflogen;
Erschrocken heben die Götter der Wogen
Aus schäumenden Fluten das schilfichte Haupt.
Doch plötzlich, als wenn der Himmel erglühte,
Stürzet ein Blitz aus der heitern Luft,
Und die Erde zerreißt sich zur furchtbaren Kluft;
Da rief laut jauchzend der Apolloide:
„Dank dir, Gewaltiger, fest steht mir der Bund.
Dein Blitz ist mir der Unsterblichkeit Siegel;
Ich folge dir, Zeus!“ – und er faßte die Zügel
Und jagte die Rosse hinab in den Schlund.
Theodor Körner (1791-1813)
From a distance
Glanum, aber antik ist antik
Schon bei Homer waren die Götter nicht mehr authentisch sie selbst
Eine gewisse säkulare Respektlosigkeit im erzählerischen Umgang mit den Göttern meint Ludwig Preller bereits bei Homer feststellen zu können, wenn er schreibt:
„Namentlich ist es von Homer oft genug hervorgehoben daß er von den Göttern zwar viel und mit großer Anmuth erzählt, aber selten mit religiösem Ernste, gewöhnlich mit einer naiven Schalkhaftigkeit, wie sie sich von selbst einstellen mußte sobald der Sinn für jene alte Naturdichtung verschwand, in welcher namentlich die Liebeshändel und die Kämpfe der Götter und sonst alle die paradoxen Bilder der Göttergeschichte, wenn sie sie bereits kannte, ohne Zweifel eine andere Bedeutung gehabt hatten.“ (Griechische Mythologie, Band 1, 1854, Kindle-Positionen 309-313)
Ist der erhabene Ernst einer Erzählung erst einmal verlorengegangen, lässt er sich kaum wiederherstellen. Es gilt das Gesetz der religiösen Entropie, wonach das einmal Entweihte zwar noch weiter profaniert, aber nicht nachhaltig resakralisiert werden kann.
Und immer wieder Zeus
In seiner Griechischen Mythologie (1854) nennt der Altphilologe Ludwig Preller den „Zeuscultus […] die centralisierende Mitte der gesamten griechischen Götterwelt“. Wer einmal mehr (oder auch wie zum ersten Mal) die Götterkugel, also das offenbar kugelförmige Götternetzwerk nachzeichnen (und womöglich auch nach-zeichnen) wollte, könnte immer wieder gleichzeitig eine Unzahl von Fliegen mit ein und derselben Klappe schlagen, wenn er die Centralmacht Zeus in serienmäßiger Variation ins Centrum des Interesses rücken würde.
Das Prinzip Intersektion
„Finlay’s poetry was already beginning actively to intersect with the visual – which is characteristic for his later works as a recognized concrete poet“. (Ian Hamilton Finlay – poezja konkretna, concrete poetry. Galeria Bielska BWA, Bielsko-Biala 2000, S. 9)
Intersektion (Überschneidung und Durchdringung) als grundlegendes Gestaltungsprinzip eines Wort-und-Bild-Werks (auch wenn dieses dann nicht der Konkreten Poesie zuzuordnen sein wird) über das Griechisch-Göttliche. Wir müssen uns (einen) Gott zunächst als ein griechisches Wort-und-Bild-Konglomerat vorstellen.
Ludwig Preller über die Bildlichkeit der Mythen und das Prinzip der Übertragung
In Ludwig Prellers zu Lebzeiten einbändigem, posthum dann zweibändigen Werk über Griechische Mythologie (1854, 1860 und später) findet sich als eines der einleitenden Kapitel diese Passage (Hervorhebungen in Kursivschrift von mir, M.):
„1. Der Inhalt im Allgemeinen.
Der Inhalt der griechischen Mythen [eigentlich Reden, Erzählungen] ist ein überaus mannichfaltiger, je nach dem Alter und der Stufe der Mythenbildung welcher sie angehören. Der ältesten Zeit entsprechen jene grandiosen Bilder einer einfachen, aber seelenvollen Naturanschauung, wie man ihnen besonders unter den Göttermythen begegnet, in dem Culte des Zeus, der Athena, des Apollon, des Hermes u. A. Die elementaren Kräfte und Vorgänge der Natur, Sonnenschein, Regen, der Blitz, das Fließen der Ströme, das Wachsen und Reifen der Vegetation, werden dabei als eben so viele Handlungen und wechselnde Zustände beseelter Wesen vorgestellt und in bildlichen Erzählungen ausgedrückt, welche noch zwischen Allegorie und Mythus schwanken, so daß sie oft den Eindruck von dichterisch ausgeführten Hieroglyphenmachen. Jedenfalls gehören sie zu dem Schönsten von Naturpoesie was es geben kann, und sie zeugen von einer so tiefinnigen Sympathie zwischen der menschlichen Seele und dem Naturleben, wie sie in unsern civilisirten Tagen höchstens der Dichter oder der begeisterte Naturforscher empfindet. Eine eigenthümliche Wendung solcher Dichtungen ist diese, daß die auffallenden Wirkungen und Erscheinungen der Natur nicht selten unter dem Bilde von Thieren vorgestellt werden, deren Gestalt, Gemüthsart oder Bewegung einen verwandten Eindruck machte, womit wir uns also auf dem Wege zur orientalischen Thiersymbolik befinden. Indessen darf von dem griechischen Volk vorausgesetzt werden daß es sehr bald den Fortschritt zur vollkommenen Vermenschlichung der Götter gemacht hat, wie sie zum Wesen des Mythus in seiner engeren Bedeutung gehört und gerade den griechischen Polytheismus eigentümlich characterisirt. Nun wurde die Gestalt der Götter nach Anleitung des sinnlichen Eindrucks gedacht den eine Naturerscheinung machte, ihr Character nach Anleitung der begleitenden Empfindung, wie z. B. die Klarheit des Himmels zur Vorstellung von Einsicht und Reinheit, seine Donner und Blitze zu der von gebietender Weltherrschaft, seine Wolken und Stürme zu der von Streit und Unfrieden, der daraus niederströmende Regen zu der von zeugerischer Kraft und Ueppigkeit führte. Und indem man diese Götter als menschlich geartete Wesen zugleich um das menschliche Leben besorgt und für dasselbe bedacht glaubte, kam man weiter dahin einem jeden seinen bestimmten Antheil an dieser Fürsorge zuzumessen, wie sie zu seinem bildlichen Character paßte, wie z. B. Zeus als der Herrschende das Königthum überhaupt vertritt, seine Gemahlin, die strenge und eifersüchtige Himmelskönigin für alle Rechte der Ehe eintritt, Athena die stürmische und kriegerische in der Schlacht waltet, Poseidon als Gott der gleichsam galoppirenden Wellen zugleich zu dem Gotte der Pferdezucht und zu dem ritterlichen Gotte schlechthin geworden ist: Uebertragungen bei denen wir die Kühnheit und Anmuth des Fortschritts von einer Gedankenreihe zur andern nicht genug bewundern können, obwohl wir etwas Aehnliches auch an den Schöpfungen der Sprache und den verschiedenen Bedeutungen jedes älteren Wortstamms beobachten, dessen Geschichte gleichfalls die einer fortlaufenden Reihe von Uebertragungen eines elementaren sinnlichen Eindrucks auf immer entlegnere und künstlichere Vorstellungen zu sein pflegt. Weiter wurde, wie dieses gleichfalls bei den Wörtern zu geschehen pflegt, bei fortschreitender Entwicklung die erste Naturempfindung oft vergessen und nur das ethische Bild von Muth und Kraft, Schnelligkeit und Jugend, Schönheit oder Klugheit festgehalten und in entsprechenden Erzählungen ausgeführt, womit wir uns schon auf dem Boden der Heldensage befinden. Wieder andere Stufen und Metamorphosen der Mythenbildung ergeben sich daraus daß diese bildlichen Erzählungen mit der Zeit zu dem Stoffe und historischen Hintergrunde der gesammten Poesie und Kunst wurden, welche eine Menge der schönsten ästhetischen Motive darin vorgebildet fanden und je nach ihren besondern Zielen und Gattungen daraus weiter fortentwickelten, wie denn auch in dieser Hinsicht die griechische Mythologie einzig in ihrer Art und so durchgebildet wie keine ist. Endlich kamen die Gründer und Gesetzgeber der Staaten, die Theologen und Philosophen, die Geschichtsforscher, die Geographen, die Astronomen, alle bei jenen Sagen und Dichtungen der Vorzeit anknüpfend und sie nach ihrer eigenthümlichen Weise auffassend, erklärend, umbildend, so daß sie immer von neuem überarbeitet und auf einen neuen Inhalt übertragen wurden. Kurz es läßt sich nichts Mannichfaltigeres und Wandelbareres denken als diese griechischen Mythen, daher sich etwas allgemein Gültiges auch weder von ihrer Form noch von ihrem Inhalte sagen läßt. Von ihrer Form nur etwa dieses, daß sie unter allen Abwandlungen doch immer eine bildliche bleibt, mag sie nun als Mythus oder als Sage, als Märchen oder als Legende oder unter welcher Gestalt sonst auftreten: von ihrem Inhalte, daß sich in ihnen die verschiedensten Elemente, thatsächliche und ideale, und zwar unter den verschiedensten Bedingungen und Anregungen immer von neuem mischen und gestalten. Eben deshalb ist nichts verkehrter als in der Mythologie überall nur einen und denselben Inhalt zu suchen, sei es ein physischer oder ein ethischer oder ein historischer.“
Mythos heißt Zusammenziehung, sagt Thomas Mann, notiert Sloterdijk
„Im Vorwort zum Joseph-Roman macht Thomas Mann eine Bemerkung, die mir jetzt mehr einleuchtet als bei früherer Lektüre […]: Für die mythische Rede sei das ‚Gesetz der Zusammenziehung‘ gültig. Das besagt, aus dem ähnlichen wird im Mythos das gleiche, ja dasselbe. Während die historische Rede in jedem Detail das immer wieder andere hervorhebt, als wolle sie die Möglichkeit der identischen Wiederholung bestreiten, betont der Mythos das Immergleiche. Er hat die Mission, die Differenzen so lange zu schwächen, bis es unter der Sonne tatsächlich nichts Neues gibt. Der effektive Mythos macht die Einzelheiten vernachlässigbar, gute Geschichtsschreibung dagegen läßt den Widerstreit zwischen dem Einmaligen und dem Typischen hervortreten.“ (Sloterdijk 2018, S. 72, 13.6.2011)
„Das ‚Prinzip der Zusammenziehung‘ macht es möglich, den neptunischen Flutschrecken mit dem meteorischen Sternenschrecken in eins zu setzen.“ (Sloterdijk 2018, S. 84, 29.6.2011)
Wer, bei Zeus, ist Momos?
„Momos (griechisch Μῶμος Mṓmos) ist gemäß der Theogonie Hesiods einer der vielen Söhne der Nyx und die Personifikation des Tadels und der Schmähsucht, ein Meister scharfzüngiger Kritik, der auch vor den Göttern nicht haltmachte. Seine Entsprechung in der römischen Mythologie ist Querella.
Laut Äsop wählten, nachdem Zeus den Stier, Prometheus den Menschen und Athene das Haus geschaffen hatten, die drei für den Wettstreit ihrer Kunstfertigkeiten Momos als Schiedsrichter. Dieser hatte jedoch an allen Werken etwas auszusetzen: Warum der Stier nicht die Hörner unterhalb der Augen habe, damit er besser sehe, wohin er stößt, warum der Mensch nicht das Herz außen am Körper trage, damit man ihm seine eventuelle Schlechtigkeit ansehe, und warum das Haus nicht Räder habe, damit man sich im Falle eines missleidigen Nachbarn einfacher entfernen könne. Aufgrund von so viel Mäkelei wurde er schließlich von Zeus aus dem Olymp geworfen.
Selbst Aphrodite, an der er sonst nichts auszusetzen fand, schmähte er ob ihrer klappernden Schuhe.“
So steht es (stand es heute) bei Wikipedia, mehr über Momos hier.